Hessisch Niedersächsische Allgemeine | HNA-Artikel, 31.12.2020 – von Matthias Lohr |
Kassel – Peter Christmann ist schon immer anders gereist als die meisten anderen. Als sich seine Freunde mit 20 ein Interrail-Ticket kauften und damit so viele Länder wie möglich bereisten, setzte auch er sich in einen Zug, fuhr bis nach Casablanca und blieb einen Monat in Marokko. Er wollte nicht nur Bahnhöfe, sondern auch fremde Kulturen kennenlernen. „Länder sammeln ist nicht das, was zählt“, sagt Christmann.
Mehr als vier Jahrzehnte später ist er immer noch ein Reiseprofi. Seit 25 Jahren organisiert der Kasseler mit seiner Firma Carpe Diem Erlebnisreisen. Bei dem 61-Jährigen können Urlauber Trekking-, Wander- und Klettertouren unternehmen. Ob in Nepal, Island, Schweden, Ecuador oder in den Alpen – Christmann bietet nur Reisen an, die er selbst schon gemacht hat.
Doch ausgerechnet im Jubiläumsjahr war der Weltenbummler, der sonst bis zu fünf Monate pro Saison unterwegs ist, so oft zuhause wie noch nie. Wegen Corona wurden alle Fernreisen seit März storniert. Statt 300 Kunden waren in diesem Jahr nur 150 mit Carpe Diem unterwegs – meist auf zweitägigen Kletterkursen im Harz. Das nördlichste Mittelgebirge Deutschlands musste den Himalaya ersetzen.
Wie bei vielen anderen Selbstständigen gefährdet die Pandemie auch die berufliche Existenz von Christmann. Er weiß allerdings, dass es Menschen andernorts noch viel schlechter geht. Mit den Mitgliedern seines Trekking-Teams in Nepal ist der aus dem Weserbergland stammende Nordhesse befreundet. Für die Bauern und Selbstversorger im Himalaya sind die Touren die einzige Einnahmequelle. Dabei hatte sich der Tourismus dort nach dem verheerenden Erdbeben 2015 gerade erst erholt.
Als Reise-Experte für Nepal und Island hat sich Christmann auch mit Büchern einen Namen gemacht. Selbst Urlauber aus Schweden und den Niederlanden buchen bei ihm. Christmann liebt die Insel im Nordatlantik und den Himalaya-Staat, weil es dort „großartige Landschaften und eine Riesenvielfalt auf kleinem Raum“ gibt. Auch der ehemalige Oberbürgermeister Bertram Hilgen erkundete mit Carpe Diem das höchste Gebirge der Welt.
Nach Kassel kam Christmann wegen der Kunsthochschule. Nach dem Grafikdesign-Studium arbeitete er mehrere Jahre als freier Fotograf und hielt die Welt auf Reisen für Printmedien und Veranstalter fest. Als Verlage mehr und mehr sparten, machte er sich 1995 mit Carpe Diem selbstständig.
Für sein Jubiläum wollte Christmann eigentlich wieder einen befreundeten Guide aus Nepal einladen. Gemeinsam hätten sie Stammkunden bei einer kleinen Feier etwa erklärt, dass man Berge nicht bezwingt, sondern dass man mit Natur und der Bevölkerung im Urlaubsland stets respektvoll umgeht. Vielleicht kann das nach Corona nachgeholt werden. Dann würde Christmann sicher auch beschreiben, warum es besser ist, zum Gipfel zu gehen statt etwa mit einer Seilbahn zu fahren. Er ist sich sicher: „Nur wo man zu Fuß gewesen ist, war man wirklich.“
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